SKATEBOARDING IN DER PROVINZ
Der perfekte Plaza, der himmlische Skatepark, der fresheste Skateshop, die tightesten Medien – das alles wird man auf dem Dorf wohl vergeblich suchen. Gerne wird jedoch uebertrieben um zu lamentieren: Man habe nichts Vernuenftiges zum Fahren, es wird auch nichts gebaut, der Boden ist so derbe im Arsch, niemand kuemmert sich um die eigenen Anliegen, man muss stets zwanzig Kilometer in die naechstgroeßere Provinzmetropole eiern, undsoweiterundsofort. Wenn man aber mal die Kritikmistgabel beiseite legt, den Dreck von den Gummistiefelsneakern abschlaegt und mal ueber den Rand vom eigenen Bauernhof hinweg schaut, wird man ueberraschende Dinge feststellen. Eine gebrochene Lanze für die unterschaetzte Provinz.
FUNDAMENTE
Skateboarding ist und bleibt hauptsaechlich urban, da sind wir uns wahrscheinlich ziemlich einig. Skateboarding ist aber auch oft abhaengig von den gegebenen Spots, der Architektur, der Beschaffenheit der Bebauung von Flaechen. Und die ist nicht immer gleich phantastisch und skatekompatibel, wenn man in der Stadt unterwegs ist. Dresden zum Beispiel kann man wohl als Metropole bezeichnen. Elbflorenz besteht allerdings zum großen Teil aus Kopfsteinpflaster. Phaenomenal fuer’s Auge und fuer Touristen, ziemlich nachteilig für Rollbrettaktivisten. Natürlich haben auch die Dresdener ihre Spots, zu einem guten Teil sind das aber professionell gegossene Rampen vom Rudolph oder die selbst gebauten Gheddo-Spots. Feierabend. Soviel zur Urbanitaet. Dresden soll jetzt aber nicht über alle Maßen für seine Architektur gehatet werden – eine herrliche Stadt mit noch herrlicheren Menschen – aber sie passt hervorragend in einen Vergleich mit kleinen Doerfern und Provinznestern.
Man nehme Naumburg zum Beispiel. Nicht den Ort an der Saale sondern eine kleine katholische Enklave in Nordhessen, knapp zweitausend Einwohner, direkt an der deutschen Maerchenstraße der Gebrueder Grimm, viel Fachwerk, noch mehr Mistgabeln und alterslose Frauen in Bluemchenkleidern die scheinbar von Morgens bis Abends beladene Schubkarren vor sich her manoevrieren. Klingt nicht wie ein Skatemekka? Würde ich wohl auch denken.
Ich bin hier mittelgroß geworden und konnte es natuerlich nicht erwarten, hier weg zu kommen – knapp zehn Jahre ist das jetzt her. Diese habe ich in Staedten verbracht, Kassel, Hamburg, Berlin. Was da so geht muss man keinem mehr erklaeren. Ohne Ende Spots, intakte Szenen, Medien, Vereine, Hallen, alles und viel mehr. Es ergab sich aber vor kurzem, dass ich für einige Wochen mal wieder in die alte Heimat gezogen bin. Da ich nicht jogge und die Feldwege und Straßen hier zu einem großen Teil ganz gut in Schuss sind, drehe ich gerne Abends eine kleine Runde mit dem Board. Was man da so bemerkt – wenn man dafuer offen ist – war eine Offenbarung.
ACHTUNG, TREKKER!
Fangen wir mal kitschig an: Der Himmel ist so unglaublich weit und groß! Das vergisst man gerne mal, wenn man zwischen Haeuserschluchten lebt, arbeitet, skatet, feiert. Faellt einem das erst wieder auf, kann man ploetzlich tiefer durchatmen, steht voll im Saft, HARTGAS! ist die Ansage. Das macht man dann auch. Nun ist es etwas wunderschoenes zwischen verwirrten Autofahrern und Passanten hindurch zu pushen, Ollie hier, Slappy dort. Aber: Die Straßen und Wege auf dem Land gehoeren Dir! Dir ganz alleine! Hast Du noch das Glueck in Mittelgebirgen zu leben wird das ganze ziemlich halsbrecherisch und adrenalingeschwaengert. Hin und wieder muss man auf verwirrte Maehdrescherfahrer und Jauchefasstrekker aufpassen, manchmal ist auch ein Ruesselsheimer mit Tribal und Breitreifen am Start – stellt sich die Frage, wer verwirrter schaut: Er, weil er jemanden auf „so ‘nem Holzbrett“ sieht, oder man selbst, weil man es nicht mehr fuer moeglich gehalten hat, dass sich solche „Frisuren“ aus den Neunzigern gerettet haben. Die sperrig gesaeten Begegnungen haben jedenfalls Potenzial fuer Erheiterung – beidseitig. Das letzte Wort teilen sich beide Parteien: Der retardierte Autoproll laesst seinen Kleinstwagen aufheulen, man selbst poppt einen satten Ollie mit Schmackes. Beides muss wohl gegenseitig verwirren. Weiter geht’s schnurstracks Bergab!
HANDYCAPSPOTS? NICHT NUR IN NEW YORK, HOMIE!
Hier soll aber nicht bloß Werbung gemacht werden fuer eine Art Trimm-Dich Pfad fuer Cruiser und Longboardfetischisten. Wir haben uns nun warm gefahren und begeben uns zu den Spots.
Neuerdings ist es sehr in Mode, die Footage so New Yorkig wie moeglich aussehen zu lassen. Schoen per Instagramm gegrainte Footy mit dem I-Phone und alles sieht so schoen retro und streetmaeßig aus. Laecherlich? Auf jeden Fall recht unauthentisch, sehr oft auch albern. Meistens aber auch: Ueber alle Maßen ueberfluessig. Wer roughe Spots mit kleinen Handycaps sucht muss nicht erst sein Gepaeck am JFK abholen. Guenstiger, schneller und – das ist eine Garantie! – einzigartiger geht’s in der Provinz.
Na klar, den Plaza sucht man vergeblich. Oft kann auch nur der oertliche Grundschulhof herhalten, wenn man mal laenger als eine halbe Stunde irgendwo verweilen moechte – aber wer sich auf Film- und Foto-Missions befindet, dem sei mal ein Regioticket empfohlen. Das, und ein gutes paar offener Augen. Die reinsten jungfraeulichen Kleinode warten auf Entdecker und wagemutige Knallbrettler. Die wenigsten Ecken und Winkel sind perfekt oder auch nur sehr gut in Form. Aber wer so etwas sucht, der kann ja in die naechste Halle fahren. Und nebenbei bemerkt: Ist das nicht genau der aktuelle Fetisch? Die Cracks im Boden? Die roughe Anfahrt? Die etwas zu steile Bank? All die kleinen Maekel, mit denen man sich dann hinterher so gerne bruestet? Come to where the Unperfekt Spot is – Come to Guelle -Country!
„SO EINEN WIE DICH HAETTEN SIE FRUEHER VERGAST!“
No Shit. Das hoert man dann auch schon mal mitunter aus dem naechstbesten Hauseingang bruellen. Man sollte sich auch nicht wundern, wenn der Aggressor zudem eine Mistgabel schwenkt (bei der Schrotflinte wird es dann jedoch kritisch). Man sollte sich davon allerdings nicht einschuechtern lassen. Der hat nur selber Angst. So ist das in der Provinz: Was der Bauer nicht kennt, schmeckt ihm nicht – davon berichtet ja schon der gute alte Volksmund. Und baertige Jungspunde, die sich freiwillig und oft sehr laut und schmerzhaft irgendwelche Abgruende mit so „’nem Holzbrett“ und in „Aeppelklauhosen“ runter schmeißen, geben wir es zu: Fuer den ein oder anderen Hinterwaeldler mag das neu und unbekannt sein. Die regen sich kurz auf, bellen und knurren ein bisschen, sind oft aber auch recht empfaenglich fuer kleine Vorfuehrungen, Erklaerungen, oder, ganz zur Not: Bierbestechungen. Immerhin besser als eine angeheuerte Sicherheitsfirma, oder die Polizei – in der Regel gibt es weder das eine, noch das andere auf dem Dorf. Und falls der Freund und Helfer doch mal auftaucht, lassen sie in den meisten Faellen mit sich reden. Den Dorfbulle kennt schließlich immer irgendjemand aus der Crew oder, auch das ist auf dem Land oft eher die Regel als die Ausnahme, ist sogar mit ihm verwandt.
„ACH, BIST DU NICHT SCHNEIDER’S IHRER?“
„Na klaro. Ich komme von hier.“ Das vergisst man ganz schnell auch mal wieder: Woher man kommt. Obwohl Skateboarding seine Epizentren in Staedten hat, obwohl dort der alltaeglich Push- und Ollie – Sound von den viel befahrenen Straßen nicht mehr weg zu denken ist: Die meisten Skateboarder werden wohl aus irgendwelchen Doerfern und Provinznestern kommen. Hier soll keinem Staedter die Roots streitig gemacht werden – aber die meisten haben lange Zeit gewartet und gelechzt bis sie in der Stadt angekommen sind, in der sie heute leben, arbeiten, studieren, skaten. Und wenn man mal ehrlich ist: Hat es einem geschadet? Skatend auf dem Dorf aufzuwachsen ist wohl wie im Winter den Fuehrerschein zu machen: So leicht erschuettern kann einen da meistens nichts mehr. Und wenn man heuer, nach Jahren der Praxis an bekannten Spots, in dicken Parks und auf langen Trips zurueck in die Heimat kommt, ist man erstaunt wie sich der gute alte Kantstein von damals fahren laesst. Wie hardcore der Downhill bei der alten Schule wohl damals schon gewesen sein muss, wie man sich gefreut hat als man die heutigen Basics an den schrottigsten Nicht- und Beinahespots gelernt und gestemmt hat.
Verleumde nicht deine Herkunft. Du kannst nichts dafuer – und meistens ist es auch gescheiter, nichts dagegen zu haben.
ZWISCHEN DOERFERN SIND NICHT WELTEN SONDERN WIESEN.
Und du hast die Faxen dicke von der Handvoll Spots in deinem Nest? Du kannst den Kantstein nicht mehr sehen und der Aggro macht mit seiner Gaskammerdrohung auch langsam ernst? Schwing’ dich aufs Rad, auf den Zweitakter oder Papis Trekker und fahr’ ins naechste Dorf. Merke: Die Zeit die man für eine Reise zwischen zwei kleinen Nestern benoetigt ist nicht zwingend laenger als mit der Bahn von Kreuzberg nach Friedrichshain oder von Harburg bis nach Altona. War nicht im Nachbarkaff der alte, legendaere Kirchplatz, an dem man zum ersten mal einen Bluntslide weitergefahren hat? Oder das fette Treppenset mit der Waschbetonplatte in der Ausfahrt? Haben die dort nicht in den vergangenen zehn Jahren ein schniekes Neubaugebiet aus dem Boden gestampft? Wird es nicht Zeit, sich dieses mal genauer anzusehen?
Geht jeden moeglichen Umweg, und lasst auch die unmoeglichen nicht links liegen. Irgendwo werdet ihr Bausuenden finden, ueber die sich der Nachbar des Verantwortlichen seit Jahren beschwert – und die gleichzeitig perfekt ist, damit ihr endlich den Wallride mal frontside an die Wand haemmern koennt.
DIE EIGENE VISION VON SKATEBOARDING.
Die hat wohl jeder. Die meisten kommen damit in Beruehrung durch die Medien und in den Medien sieht man oft: Kalifornien, Barcelona, Paris, New York. Sonne, Strand und Metropolen. Das ist auch gut so. Urbanitaet heißt meistens auch Progressivitaet. Allerdings ist beides oft tausende Kilometer entfernt und man selbst – genau – steht trotzdem auf dem Skateboard, pusht zwischen Misthaufen hindurch und springt die Dreierstufen vorm Dorfgemeinschaftshaus. Auch das ist Skateboarding.
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