LEIPZIG – HALLE
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Der 1. Mai lässt mich wie gewohnt nicht im Stich: Die Sonne erleuchtet einen milden, blauen Tag, die Biergärten haben bereits früh geöffnet. Ich hoffe darauf, heute zwischen Leipzig und Halle ein Maifest zu erleben. Seit meiner Kindheit habe ich nicht mehr gesehen, wie ein Maibaum aufgestellt wird.
Zunächst: Verwirrung. Darüber, dass kaum jemand auf den Feldwegen unterwegs ist. Vereinzelte Angler am Kanal, einige Rentner auf Fahrrädern, gewiss. Aber die von mir erwarteten Horden an Jugendlichen, die mit Bollerwagen voller Bier und Fusel durch die Landstriche ziehen und sich besaufen bis sie einen Sonnenstich erleiden, bleiben aus und zwar vollends.
Kurz vor der Grenze zwischen Sachsen und Sachsen-Anhalt laufe ich in erhöhter Position auf einem Deich. Ein Habicht kreist auf meiner Augenhöhe über einer stumpf daherblökenden Schafherde. Zwei Rabenkrähen verscheuchen den Habicht ohne Umschweife. Wie Raptoren stürzen sie sich auf den deutlich größeren Greif und vertreiben ihn binnen Sekunden. Kurze Zeit später beobachte ich eine Windhosenformation an Greifvögeln. Es ist ein gutes Dutzend Rotmilane, die im ständigen Kreisel und ohne Bestrebungen eines Angriffs oder Sturzfluges einfach gleiten und segeln. Ob sie sich gegen die Krähen verbünden? Ob sie schlicht Spaß an der Flugformation haben? Ich bin hingerissen und schaue ihnen eine endlose Weile lang zu. Ein lautlos dahingleitender Tornado aus Greifvögeln. Hier, fernab von verwaisten Ortskernen, hoch frequentierten Schnellstraßen und den augenfeindlichen Bausünden deutscher Kleinstädte erweist sich dies als ein majestätischer Anblick. Erhaben, edel, unberührbar,
Die Sonne knallt und weicht Teer und Hirn langsam auf. Das Laufen ist nun etwas vollkommen anderes als noch vor einigen Tagen im Regen und Wind, in Früh-Frühlingshaften Temperaturen. Eine Atmosphäre entwickelt sich, in der Wörter wie „Wanderlust“ geboren werden. Jedoch bin ich auch am frühen Nachmittag noch immer weitestgehend allein unterwegs in Feld und Flur. Mal sehe ich ein junges Paar auf Fahrrädern, mal ein altes Paar auf einer Bank sitzen und in die Ferne schauen. Wo sind alle anderen heute?
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Ich erreiche die Landesgrenze. Und obwohl Leipzig so gut zu mir war, bin ich unglaublich froh, dieses Bundesland zu verlassen. In meinem Leben habe ich äußerst sympathische Menschen aus Sachsen kennen gelernt, aus Dresden, Leipzig, oder Dörfern in der Peripherie der größeren Städte. Sie begegneten mir in Berlin, in Hamburg, auf Zugfahrten oder in der Kunsthochschule. Doch während dieser Wanderung ließen sie mich weitestgehend allein. Nur wenige Eindrücke halfen mir dabei, das Bild von Sachsen, wie es derzeit in den Zeitungen und Nachrichten erscheint, wie ich es latent mit mir trage, zu korrigieren. Sachsen, Dunkeldeutschland, Mordor, Bundesland der Ängstlichkeit, der Engstirnigkeit und des Verzagens, ein Biotop für rechte Mobs und Bürgerwehren, aggressive Blicke und militante Tattoos oder Pulloveraufdrucke am Rande der Legalität. Sachsen, du hast mir erst Angst gemacht und mich dann umso stärker positioniert, gegen dich und deine Eigenarten, gegen jegliche Form von Nationalismus, gegen Rechte Dummheit und linksideologischen Staatshass. Diesen ganzen Flaggenpopanz darfst du gerne behalten, und so tragisch es wäre, Leipzig und das Elbsandsteingebirge durch einen Abspaltungsprozess zu verlieren, so sehr wünsche ich mir dies tatsächlich, als ich Sachsen verlasse. Was für ein Quatsch durch miese Atmosphären gedacht werden kann. Als die Pferde mit mir in Form dieser Gedanken durchgehen und ich dem Freistaat in Gedanken meinen Mittelfinger entgegen recke, überschreite ich die Grenze bei Masslau. In diesem Moment werde ich von einer kleinen Gruppe Radfahrer überholt. Die ersten beiden grüßen überschwänglich über die Schultern winkend, der Dritte ruft mir zu „Gleich hast du es geschafft! In eineinhalb Kilometern gibt es einen Biergarten!“. Sachsen – Anhalt, dein erster Eindruck ist Gold wert!
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Dort angekommen gibt es phantastischen Kuchen und eine wundervolle Atmosphäre, denn man trifft tatsächlich auf andere Menschen, Flaneure, Wanderer, Radfahrer, Gesicht-in-die-Sonne-Strecker. Ich bin mit Abstand der jüngste Mensch zwischen den Stuhlreihen des Biergartens, der von drei Generationen einer Familie betrieben wird. Großvater zapft das Bier in die Tonkrüge, die Enkelin serviert den Kuchen, Großmutter rechnet ab, der Sohn kümmert sich um die Garnituren und jegliche Aufbauaufgaben. Ein toller, ein irgendwie gesunder Anblick. Allgemeines Gegrüße, in die Sonne Geblinzel, sorgenfreies Ambiente. Zwei Pärchen setzen sich zueinander, sie kennen sich flüchtig vom Abend zuvor, als sie gemeinsam in den Mai tanzten. Nun stoßen sie erneut an, allesamt leicht verkatert aber glücklich. Sehr versöhnlich, dieses hier und jetzt. Der Lenz scheint da.
Ich passiere einige Seen, spüre, wie ich gebräunt werde, schwitze so sehr, dass ich die ersten Kilometer im T-Shirt gehen kann, und bin entzückt über diesen Weg im Grünen. Ich freue mich auf Halle, von dem ich wenig mehr weiß, außer dass mich sein Stadtwappen entfernt an die türkische Nationalflagge erinnert und Händel von dort stammt.
Als ich dann vor Ort ankomme, erinnert mich die Stadt sehr an meine Heimatstadt Kassel. Die Straßenbahnen sind der gleiche Typ, sogar die Ansagerinnenstimme, die die Haltestellen bekannt gibt, ist die selbe. Die Stadt ist ähnlich groß und hat einen Campus, der sehr zentral in der Innenstadt gelegen ist. Beide Städte scheinen unterschätzt zu sein, doch davon bekomme ich am Abend erst einmal nichts mit. Meine Füße schmerzen, als ich Halle erreiche. Es gibt sozialen Rückenwind, einen kurzen Plausch mit einem aufgeschlossenen und interessierten jungen Mann, den ich vor einem Bankautomaten treffe. Er ist überrascht, dass es „so etwas“ noch gibt, Bergstiefel, Wanderstock undsoweiter. Es ist und bleibt natürlich ein Smalltalk in einer Bankfiliale, doch die Tatsache, dass ich so selten auf wirklich interessierte Fragesteller stoße und nicht bloß auf verwundert musternde Blicke, gibt mir den Impuls, ihn spontan zu umarmen. Ich belasse es bei einer Umarmung im Geiste, er wird es an meinem Blick sehen und zu deuten wissen.
Der Campingplatz wird bereits geschlossen haben, denn es ist kurz vor acht am Abend. Ich suche mir ein Hotel und finde sponatn das schönste der Tour. Überrascht, dass es so etwas wie Raucherzimmer noch gibt, nehme ich spontan eins. Und so liege ich rauchend auf meinem Bett und schaue fern, es läuft ein neuer James Bond Film und ich bin ganz begeistert vor lauter Entspannung. Phantastisch schlafe ich in dieser Nacht auf samtweichen Vier-Sterne-Laken.
Ich bleibe maximal lange im Bett liegen und verschwinde dann zügig zum zentralen Marktplatz. Ich werde wohl noch einen Tag hier bleiben; die Füße schmerzen, die Stadt gefällt mir gerne. Mit dem Rucksack auf dem Rücken durchwandere ich die Straßen, bis ich von der geschäftigen Innenstadt erst einmal genug habe und in Richtung Zoo aufbreche, wo sich auch der Campingplatz finden lässt – der allerdings noch geschlossen bleibt bis die Badesaison beginnt. Ich besuche also die Tiere und sehe mir Menschen an, wie sie die Tiere besuchen. Man kann sich hier hervorragend inspirieren lassen: Wenig kann einem mehr über den Sinn des Lebens beibringen, als die Observation eines Faultieres.
Gegen Mittag muss ich mir dann langsam überlegen, wo ich nächtigen werde. Also geht es auf in die Touristen-Information, wo ich mir Wandernadel und Unterkunftsverzeichnis besorge und anschließend in der Sonne sitzend die sich bietenden Möglichkeiten auskundschafte. Im Verzeichnis finde ich ein sehr ansprechendes Atelier, das einen Gastraum vermietet. Ich suche das Atelier auf und als ich beim Betreten denke es gefunden zu haben, sagt mir die Kunsthändlerin, dass ich hier falsch sei. „Drei Türen weiter“ sagt sie und deutet nach links. Ich gehe wie mir geheißen und finde das besagte Atelier mit Raumvermietung. Davor steht ein älterer Herr. Ganz unvermittelt spricht er mich an und er wird zwanzig Minuten nicht aufhören. Er hat hier früher geboxt, jetzt möchte er sich das Gebäude noch einmal ansehen. Das macht er oft. Er hat als Lehrer gearbeitet, seine Tochter heute auch, eine schlaue Frau, sie muss in etwa mein Alter haben, meint er und schätzt mich knappe fünfzehn Jahre älter auf Ende vierzig. Dann beginnt er die Geschichte nochmal von vorne, geboxt hat er hier und möchte sich das Gebäude nochmals ansehen, seine Tochter…
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Am Atelier ist ein Zettel angebracht: „Gastraum vermietet.“ Es ist früher Nachmittag, die Sonne scheint – neben dem Atelier befindet sich eine winzige, sympathisch wirkende Bar. Ich setze mich nach draußen an einen der Tische und bestelle ein kleines Bier. Die anderen Tische sind teilweise auch besetzt mit Studierenden oder Eingeschriebenen. Ein Paar nähert sich, sieht mich, und sie ruft mir entgegen: „Und, Erfolg gehabt?“ Erst bin ich verwundert, doch dann wird es mir klar: Natürlich, sie waren eben Kunden in dem anderen Atelier, in dem ich zuerst nach einem Raum gefragt habe. „Nein, leider nicht, es ist ausgebucht.“ Sie setzen sich an den Tisch neben mir und während dieser sieben Schritte improvisiert sie und organisiert mir eine Unterkunft für die Nacht. In eine fließende und übergangslose Bewegung eingebaut sagt sie folgendes: „Also wenn ich hier wohnen würde, könntest du sofort bei uns schlafen. Habt ihr nicht noch ein Sofa oder Bett anzubieten?“ Sie blickt zwei Mädchen am Nebentisch an und ehe ich einschreiten oder relativieren kann, haben die Mädchen schon geantwortet „Ja, klar.“ Sie sagen einfach so ja, klar, ohne zu überlegen, ohne irgendeine Sorge auftreten zu lassen und dann winke ich hervor und sie ändern ihre Meinung nicht plötzlich und spontan, sondern belassen es bei ihrer sorgenfreien Zusage. Gegenseitig augenzwinkernd gehe ich an meinem Kupplerpaar vorbei und stelle mich den Mädchen vor, die ihre Vorlesungspause mit Radler ausfüllen, was ich natürlich sehr sympathisch finde. Wir verabreden einen Treffpunkt für später und dann verabschieden sich die beiden um ihre Nachmittagsvorlesung zu schwänzen und mit Freundinnen zu kochen. Ich nehme wieder neben dem Atelierspaar Platz, das sich nun den Belitzer Spargel schmecken lässt. Ich bin begeistert und wie in einem kleinen Rausch über diese mir in den Schoß gefallene Fügung, für die ich nicht einmal den kleinen Finger krümmen musste.
Das Paar stammt aus Duisburg und durch ihre Gesinnung, ihr Interesse, die offenen Ohren und die spitzen Zungen, die verständnisvollen Blicke und diese herrlich selbstlose Geste des Vermittelns zähle ich sie spontan zu meinen Freunden. Wir verstehen uns, gesellschaftlich, politisch, privat – das ist nach wenigen Sätzen bereits klar. Sie genießen das Essen und den Wein, ich mein Bier und wir gemeinsam die Unterhaltung. Sie können sich die allgemeine Angst des Menschen, des Deutschen im Speziellen vor dem Fremden, dem Unbekannten, dem Andersartigen nicht erklären. Sie lieben das Neue, das Andere, genießen es, mit offenen Augen und Armen durch die Welt zu gehen. Dann gehen sie weiter, wahrscheinlich Antiquitäten suchen, wünschen mir alles Gute und ich ihnen. Die Gewissheit „einfach so“ auf gute, wirklich angenehme Zeit- und Geistesgenossen zu treffen – hilfsbereit, aufgeschlossen, neugierig – versöhnt mich vorerst und erneut mit den Menschen, mit den Deutschen, mit dem Osten.
Nun, da die Frage der Unterkunft für den Abend vorerst beantwortet wurde, kann ich mich erneut dem Flanieren durch die unbekannte Stadt hingeben. HaNeu – Halle-Neustadt so der offizielle Name des Stadtteils – liegt nur knappe zehn Minuten Fußweg vom Marktplatz entfernt und ist, ähnlich wie Grünau in Leipzig, eine andere Stadt, ein anderer Welt- oder zumindest Gesellschaftsentwurf. Ich streuner mit himmelwärts gerichtetem Blick zwischen den Wohnblocks umher, doch der bedrückenden Häuserschluchtenkulisse gelingt es auch im harten Mittagslicht nicht, meine Laune zu ruinieren. Ich frage mich, wie dieses Milieu wohl wirken würde, hätte man es einst konsequent im Bauhausstil in die Höhe und Vorstadt gestampft.
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Danach sonne ich mich vor einem Café in der Nähe des Campus neben einer beeindruckend attraktiven und jung gebliebenen Frau, die ungefähr doppelt so alt sein wird, wie sie wirkt. Wie sie strahlt, wie sinnlich sie wirkt, ich rieche meinen Lustschweiß wenn ich sie so anstarre. Raves hat sie veranstaltet, an illegalen Orten, auf dem Campingplatzgelände, im Freibad. Ich will nichts mehr, als diese Frau küssen, hier bei selbstgedrehten Zigaretten und Kaffee und dahingelächeltem Schnack über spontane und illegale Tanzveranstaltungen, während sie sich durch ihre mähnigen Haare fährt und ihren Rock zurecht zupft. Ich traue mich nicht und hasse mich dafür. Die von mir so oft gelobte Fallhöhe, die Menschen so attraktiv macht, verheißungsvoll und mutig erscheinen lässt – mir selbst fehlt sie hier und ich stelle mich kläglich an, bei Versuchen mich aus dem Fenster zu lehnen und meine Wünsche zu artikulieren oder meine Lust auszudrücken. „Entschuldigen sie bitte wenn ich so direkt frage, aber kann ich mich mal mit dir über deine Einstellung zu diesem Land unterhalten?“ oder „Verzeihung wenn ich so forsch sein sollte, aber Sie sehen so unglaublich heiß aus, dass ich sie spontan küssen möchte!“ – man sollte gut riechen für solche Gesprächsanfänge. Vielleicht kann ich mich hinter unrasierten Tatsachen verstecken, dem Fakt, dass ich seit einem Monat ein einziges Hemd trage und man mich womöglich für einen Landstreicher hält, der ich ja nun tatsächlich mittlerweile bin. Ich gehe weiter, und ihr Lächeln lässt mich meine Feigheit noch mehr verabscheuen. Wenn bewusst Scheitern die Devise war und ist, dann erfülle ich diverse Disziplinen mit Bravour. Wie ein Würstchen krieche ich fort. Verdammt.
Heute ist Montag und natürlich findet Montags auch in Halle eine Demonstration statt. Wofür genau weiß ich hier nicht, kein Redner hat konstruktive Ideen vorzuschlagen, Richtungen zu weisen die man einschlagen könnte, potentielle Wege zu nennen, die sich auftun könnten. Man weiß nur, wogegen man ist: Gegen die Presse, die Massenmedien, die Konzerne und Banken, die Politiker und Volksverräter, gegen das gleichgeschaltete Volk, die USA, Google, man ist dagegen, als rechts bezeichnet zu werden, aber auch strikt dagegen als links bezeichnet zu werden und man ist natürlich gegen die GEZ. „MERKEL MUSS WEG“ prangert in riesigen Lettern auf einem am Boden liegenden Transparent während sich die Stimmen der Redner vor zwischenzeitlicher Hysterie und Anspannung überschlagen. Ungefähr vierzig Leute sind hier damit beschäftigt, ihren Welthass im demonstrativen Rahmen zur Schau zu stellen und denken sie seien die Mitte einer Gesellschaft aus achtzig Millionen Menschen. Es ist natürlich albern und unfreiwillig komisch wie sie hier stehen und das ist gleichzeitig auch die Tragödie. Denn eine kritische Grundhaltung ist etwas sehr schätzenswertes – eine funktionierende Presse zeichnet sich zum Beispiel durch sie aus, ebenso eine lebhafte Diskussion unter verschiedenen Meinungen. Don’t believe the hype – diese Haltung ist mir grundsympathisch. Allerdings kreieren diese Demonstrationen so etwas wie einen Anti-Hype, eine gegen-alles-Etablierte-Stimmung, mit der sich weder streiten noch arbeiten lässt, denn durch ihre Ablehnung und überkritische Haltung jedem Argument gegenüber – „Die Umfrage hat doch die Bundesregierung in Auftrag gegeben!“ / „Die stecken doch alle unter einer Decke!“ / „Das sind Statistiken, denen ich keinen Glauben schenke!“ – werden sie zu Fundamentalisten. Spinnt man ihre beachtlich dünnen Fäden weiter, kann es am Ende gar keinen Staat mehr geben, keine Politik, keine Medien, keine Gewalt. Was bliebe bei achtzig Millionen Menschen anderes übrig, als Anarchie? Ich bezweifle, dass die selbst ernannte und herumkrakeelende Mitte der Gesellschaft, die hier in Halle durch drei, vier Dutzend Ulfkottejünger im Verfolgungswahn repräsentiert wird, so etwas sehen möchte. Verfolgt man ihre Rede merkt man, dass sie nichts wirklich möchten, außer jeglichen bestehenden Zustand abzuschaffen und niederzuschlagen.
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Kurz nach der Demo werde ich von den Mädels abgeholt. Sie sind nun zu viert und ich frage, ob ihnen meine Übernachtung wirklich noch recht ist, schließlich war die Anfrage heute Mittag ein ziemlich spontaner Überfall und noch nicht einmal durch mich, sondern durch die großartigen Westfalen forciert worden. Ich biete an, erneut im Hotel zu schlafen, falls sie es sich anders überlegt hätten. Doch sie lehnen ab und deshalb fahren wir jetzt zu ihnen in die Vorstadt, trinken Cola-Bier-Mischgetränke und spielen Kartenspiele mit subversiv-linken Inhalten sowie das gute, alte Mau-Mau. Es fühlt sich großartig an, Gast bei ihnen zu sein! Die Mädchen sind alle nicht aus Halle und ich muss schlucken als ich höre, dass sie im Jahr 1997 geboren wurden. 1997 war ich im Zeltlager auf Sylt und zum ersten mal richtig betrunken und zwar in der Nacht in der Lady Di gegen einen Tunnelpfeiler verchauffiert worden ist. Sie studieren alle im zweiten Semester und ich denke, wow, hätte ich nur ein paar Semester an mein ohnehin schon endlos langes Studium angehangen, wären wir – die Jahrgänge 83 und 97 – uns noch in den Mensen der Unis begegnet.
Ich schlafe auf dem Sofa eines mustergültigen Jugendzimmers. Zahllose Poster sind kreuz und quer über eine der Wände verteilt. Natürlich „Fack Ju Göethe 2“, natürlich irgendwas mit Matthias Schweighöfer und diverse Teenie-Komödien. Doch über allen hängt die dreckige und ausgelaugte Besatzung eines amerikanischen Shermann-Panzers, kampfbereit ins Mädchenzimmer starrend. „Fury“ wird ziemlich sicher hier hängen, weil Brad Pitt die Hauptrolle spielt und deshalb könnte diese Wand nicht typischer und untypischer zugleich dekoriert sein. Ich schlafe wie in fast allen anderen Nächten, nämlich wie ein Stein.
Zum Abschiedsfrühstück gibt es Nutella-Toast und gute Wünsche. Willkommenskultur in Halle, arrangiert von Menschen aus Duisburg für Menschen aus Hessen zu Gast bei Menschen aus Thüringen. Auch das ist Deutschland. Zum Glück.
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